Zusammenfassung:Valentin Stalf Getty Images / picture alliance, Collage: Business InsiderValentin Stalf ist Mit-Grün
Valentin Stalf ist Mit-Gründer und CEO der Neobank N26. In seinem Gastbeitrag für Business Insider fordert er mehr Mut zur Innovation.
Deutschland müsse ein innovationsfreundliches Umfeld schaffen, um im globalen Technologiewettbewerb zu bestehen.
Die neue Bundesregierung plane zwar, Deutschland zur KI-Nation zu entwickeln, benötigt jedoch mehr Investitionen.
Valentin Stalf ist nominiert für THE POWER LIST – GERMANYS TOP 50. Wer gestaltet Wirtschaft, Gesellschaft und Innovation in Deutschland? BUSINESS INSIDER Deutschland porträtiert Macherinnen und Macher mit Verantwortung – strategisch, mutig, zukunftsorientiert. Am 5. Juni erscheint die vollständige Liste – gemeinsam präsentiert mit WELT und POLITICO Deutschland. Alle Porträts findet ihr hier.
Die USA setzen unter Präsident Donald Trump neue Maßstäbe im globalen Wettkampf um digitalen Wohlstand und innovationsgetriebene Technologieführerschaft. Europa droht hingegen, den Anschluss an zukunftsweisende Technologien zu verlieren. Während der alte Kontinent weiter als Weltmeister in der Regulierung von Chancen durch neue Technologien auftritt, präsentieren sich die Vereinigten Staaten von Amerika als Weltmeister in der Förderung von Chancen.
Der aktuelle Befund ist dramatisch, aber nicht unumkehrbar. Deutschland und Europa haben es selbst in der Hand, die Voraussetzungen für mehr Wohlstand durch Innovationen zu schaffen. Zwar sprechen Politiker immer wieder über die Bedeutung von Innovationen und Digitalisierung für die Zukunft Europas. Doch meistens fehlt ihnen der Mut, ein innovationsfreundliches Umfeld zu schaffen. Immerhin enthält der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung einige Entscheidungen, die die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen – beispielsweise die Schaffung eines Digitalministeriums, verbesserte Abschreibungsbedingungen sowie die Einführung einer Aktienrente.
Unsere eigene Unternehmensgeschichte illustriert die Chancen, die der Glaube an Innovationen bietet. Innerhalb von zehn Jahren hat sich N26 von einem kleinen Berliner Startup zu einem der größten Digitalunternehmen Europas entwickelt. Digitalunternehmen wie Zalando, GetYourGuide, Celonis oder N26 zeigen ebenso, welches Potenzial in innovativen Unternehmen steckt.
Um diese Stärke in einem zunehmend wettbewerbsintensiven globalen Umfeld ausspielen zu können, braucht es eine Kultur, in der die Chancen von Innovationen höher gewichtet werden als potenzielle Risiken. Vorfahrt für Innovationen sollte zur Handlungsmaxime der nächsten Bundesregierung werden. Der Koalitionsvertrag verspricht, dass Deutschland zur KI-Nation werden soll. Dieses Ziel muss aber noch durch entsprechende Investitionen unterlegt werden.
Vorsprung durch Digitalisierung
Europa ist für ausländische Spitzenkräfte ein attraktiver Standort. Ein Gesundheitssystem mit herausragender Medizinversorgung gehört ebenso zu den Stärken Europas wie eine vergleichsweise hohe Sicherheit, eine ausgeprägte kulturelle Vielfalt sowie breite Ausbildungsmöglichkeiten.
Innovative Digitalunternehmen sind auf die Zuwanderung von ausländischen Spitzenkräften angewiesen. Gleichzeitig haben internationale Arbeitskräfte hohe Erwartungen, gerade mit Blick auf den Grad an Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung.
Wir sollten uns hier nicht mit dem Status-Quo begnügen, sondern uns an den Spitzen-Nationen weltweit orientieren. Zu oft höre ich Argumente, warum die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung nicht vorangeht: komplizierte föderale Kompetenzen, mächtige Interessenvertretungen, Gewerkschaften oder komplexe europäische Regelungen. Für ausländische Spitzenkräfte zählen solche Ausreden nicht. Wir müssen den Anspruch haben, Weltspitze in der Digitalisierung der Verwaltung zu werden.
Deutschland könnte hier eine Vorreiterrolle in Europa spielen. Die Expertise ist längst im Land. Vorsprung durch Digitalisierung bedeutet nicht nur einen Standortvorteil, Deutschland würde zudem massiv Kosten sparen. Ein Beispiel: In der deutschen Verwaltung sind aktuell rund 5,3 Millionen Staatsdiener beschäftigt, 800.000 mehr als noch im Jahr 2008 – trotz demografischer Entwicklung und digitalem Fortschritt.
Eine “digital-only” Verwaltung, wie sie der Koalitionsvertrag vorsieht, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir sollten in der deutschen Verwaltung alles digitalisieren, was sich digitalisieren lässt. Die Zeit der Ausreden ist vorbei.
Mitarbeiterbeteiligungen erleichtern
Zusätzlich braucht es Reformen, damit sich Leistung überproportional bei Spitzenkräften bemerkbar machen. Ein wichtiges Instrument sind Mitarbeiterbeteiligungen: Gewinne aus sogenannten Employee Stock Ownership Plans (ESOP) sollten nach amerikanischen Vorbild, wie auch schon in Frankreich, nicht als Einkommen, sondern als Kapitalerträge und damit niedriger besteuert werden, um Talente langfristig binden zu können.
Politiker in Europa sprechen überwiegend davon, Top-Verdiener noch stärker zu besteuern, statt die Spitzensteuersätze signifikant zu senken. Die harte Wahrheit ist jedoch, dass man in Europa schon ab vergleichsweise niedrigen Gehältern zu der Gruppe der Spitzenverdiener zählt. In Deutschland sind es 45 Prozent ab einem Einkommen von knapp 278.000 Euro. Unsere Steuersätze für Spitzenkräfte sind weltweit nicht wettbewerbsfähig: In den USA liegt der Spitzensteuersatz bei 39,6 Prozent – allerdings erst ab einem Einkommen von 578.000 US-Dollar. In Singapur zahlen die Bürger einen Spitzensteuersatz von 24 Prozent, und in Estland nur eine Flatrate von 20 Prozent.
Einige EU-Staaten haben den Vorteil niedriger Steuern erkannt und zeitlich begrenzte Steuererleichterungen für ausländische Spitzenkräfte eingeführt. So zahlen Fachkräfte aus dem Ausland in Portugal über zehn Jahre nur einen ermäßigten Steuersatz von pauschal 20 Prozent. In Spanien, wo wir eines unserer größten Entwicklungsbüros betreiben, gilt ebenfalls ein reduzierter Steuersatz für Arbeitskräfte anderer Nationalität von pauschal 24 Prozent.
Eine vergleichbare Flat-Tax für ausländische Facharbeiter würde Deutschland im globalen Wettbewerb um Spitzenkräfte deutlich attraktiver machen. Gleichzeitig muss die Zuwanderung von hochqualifizierten Menschen deutlich erleichtert werden – unter anderem durch einfache und schnellere Visaverfahren.
Ergänzend sollte Deutschland die Aktienkultur fördern. Andere europäische Länder machen es vor, beispielsweise Spanien. Dort gilt nach einer einjährigen Spekulationsfrist nur noch ein stark reduzierter Steuersatz von 18 Prozent auf Aktiengewinne. In Deutschland sind es 25 Prozent – plus Solidaritätszuschlag. Auch die Einführung eines kapitalmarktorientierten Vorsorgesystems nach dem Vorbild der USA ist sinnvoll. Dies könnte nicht nur Milliarden Euro an zusätzlichem Kapital mobilisieren, sondern auch einen Beitrag zur Schließung der Rentenlücke leisten.
Die Idee einer Frühstart-Rente, wie sie der Koalitionsvertrag vorsieht, ist ein guter Anfang zur Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge. Doch mit zehn Euro pro Monat für jedes Kind im schulpflichtigen Alter bleibt der Ansatz weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Die Chancen einer kapitalgedeckten Altersvorsorge werden so nur unzureichend genutzt. Darüber hinaus wäre es sinnvoll, steuerliche Anreize für institutionelle Investoren zu schaffen, um insbesondere grenzüberschreitendes Risikokapital zu fördern.
Ein Markt, mehr Kapital
Neben diesen Reformen braucht es ein gezieltes Streben nach Größe und Tempo. Tesla, Amazon und Google sind auch deshalb zu globalen Tech-Giganten aufgestiegen, weil sie in kurzer Zeit sehr stark wachsen konnten. Der Wunsch, möglichst schnell etwas möglichst Großes zu schaffen, ist Teil der amerikanischen Kultur. In Europa ist diese Haltung nicht sonderlich ausgeprägt. Dabei wären die Chancen für Challenger-Unternehmen noch größer, wenn sich Europa insgesamt zu innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen verpflichten würde. Ein einheitlicher EU-Binnenmarkt und eine europäische Kapitalmarktunion sind die Schlüssel, um innovative Unternehmen schnell wachsen zu lassen.
Fragmentierte nationale Vorgaben in der Bankenbranche – beispielsweise bei der Aufnahme neuer Kunden, bei der Bekämpfung von Geldwäsche oder im Steuerrecht – sind eine schwere Hürde für Fintech-Unternehmen, die in Europa erfolgreich sein wollen. Um die europäische Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu stärken, sollte Deutschland innerhalb der EU eine führende Rolle übernehmen, um harmonisierte Regelungen zu schaffen, die eine grenzüberschreitende Expansion von innovativen Unternehmen erleichtern.
Deutschland und die neue Bundesregierung stehen an einem entscheidenden Wendepunkt. Ob unser Land auch in den kommenden Jahrzehnten eine führende Rolle in der globalen Technologie- und Wirtschaftswelt spielen wird, hängt von den Entscheidungen der heutigen Politik ab. Innovationen wurden in der Vergangenheit zu oft als Risiko verstanden, die erst einmal gründlich reguliert werden müssten, bevor sie sich entfalten können.
Diese Haltung müssen wir überwinden, wenn wir die Chancen erkennen und nutzen wollen, die Innovationen uns bieten. Jetzt ist die Zeit, optimistisch nach vorne zu blicken und die Weichen für eine erfolgreiche digitale Transformation zu stellen.